BISp SHT

Erfahrungsbericht

Erich Grau

BISp: Das Thema Gehirnerschütterungen ist mehr denn je in den Medien. Wie war das damals bei Ihnen? Haben Sie sich damals Gedanken gemacht, dass häufige Kopfstöße negative Langzeitfolgen haben könnten?

Grau: Bei uns damals war es genau das Gegenteil.

BISp: Glauben Sie, das Bewusstsein hat sich mittlerweile geändert?

Grau: In Deutschland ist da glaube ich überhaupt noch kein Bewusstsein da.

BISp: Was könnte der Verband in ihren Augen besser machen?

Grau: Leider sind die genauen Ursachen von CTE nicht bekannt und deswegen ist es schwierig den Sport sicherer zu machen. Es gibt bereits viele Regeländerungen. Der Kontakt mit dem Helm wurde verboten und wird mittlerweile bestraft. Der Arzt der Jugend Nationalmannschaft sagt, dadurch habe man die Anzahl der Gehirnerschütterungen um 20% reduzieren können. Viele Spielsituationen kann man aber nicht verändern. Beispielsweise wenn ein Spieler zu Boden fällt und mit dem Helm und Kopf aufkommt, das passiert auch wenn er mit dem Arm oder mit dem Shoulderpad getackelt wurde. Der knallt auf den Boden. Da kann man nichts verändern. Das ist einfach so. Ich glaube Regeländerungen sind kosmetische Korrekturen, sie ändern nicht viel.

BISp: Sie haben gesagt, dass damals kein Bewusstsein dafür vorhanden war. Wann haben sie gemerkt, dass sich die Kopfstöße eventuell negativ zusammenaddiert haben?

Grau: Also, dass Football etwas damit zu tun hat, das ist nicht einmal seit 2 Jahren bei mir im Bewusstsein. Als ich im Ruhestand war, fing ich an, nach einer Erklärung zu suchen. Es wurden Spect-Aufnahmen gemacht. Da hat man damals schon gesehen, dass nicht alle Hirnareale gleich gut arbeiten. Man konnte es aber nicht auf irgendetwas zurückführen. Auch eine Alzheimerdiagnostik wurde durchgeführt, aber die war negativ. Man wusste nicht, worauf es zurückzuführen ist. Ich habe ein paar Medikamente ausprobiert, die mir aber alle nicht gut getan haben. Die Erkenntnis, dass Football was damit zu tun hat, war reiner Zufall. Bei mir wurden die Nervenleitgeschwindigkeiten gemessen. Die sind im gesamten Körper relativ langsam geworden. Dem behandelten Arzt habe ich geschildert, dass ich auch kognitive Einschränkungen habe, und der meinte, so etwas kennt man in der Regel von Boxern. Das war im Herbst 2015. Im Lauf der Wochen und Monate habe ich recherchiert und bin Ende 2015 auf die Studie der Boston University und auf Omala gestoßen und kam auf die Idee, dass eventuell Football für meine Probleme verantwortlich ist.

Die ersten Probleme sind bei mir mit 45 Jahren aufgetreten, also genau 10 Jahre nach meiner Football Karriere. Ich war als Lehrer tätig und konnte mir in einer neuen Klasse plötzlich die Namen nicht mehr merken konnte. Das war immer meine Stärke. Plötzlich eine meiner größten Schwächen. Ich kann mich an ein einschneidendes Erlebnis aus dieser Zeit erinnern: an einem Tag kam der Hausmeister mit zwei Handwerkern in meine Klasse und wollte die Heizung reparieren. Ich unterbrach den Unterricht für 10-15 Minuten. Als die Reparaturarbeiten erledigt waren, wusste ich gar nicht mehr, warum ich in diesem Zimmer stand. Unterricht zu Heizung, zurück zum Unterricht. Der Wechsel hat nicht mehr funktioniert. Ich habe nicht einmal mehr gewusst, warum ich in diesem Klassenzimmer stehe. Das war der Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt.

Dieser Wechsel von unterschiedlichen Situationen ist auch heute noch einer meiner großen Schwachpunkte. Außerdem hatte ich zu dieser Zeit auch sehr häufig monatelang Kopfschmerzen. Ich habe mir damals die Grenze bei 10 Aspirin pro Tag gesetzt. Die hatte ich häufig um 11 Uhr Morgens erreicht. Ich konnte keine Tafelanschriften mehr machen, da ich so viele Schreibfehler gemacht habe. Ich habe ich mir dann immer jemanden mit einer schönen Schrift rausgesucht, der die Stunde an die Tafel geschrieben hat. Man musste sich immer Schlupflöcher suchen, damit es doch noch geht.

BISp: Wie war dann der Verlauf über die Jahre?

Grau: Nach den ersten Auffälligkeiten im Alter von 45 Jahren ist es kontinuierlich schlechter geworden. Es kamen schrittweise neue Probleme hinzu, bis ich schließlich 10 Jahre später in den Ruhestand versetzt wurde. Ich habe auch eine sehr aggressive Phase durchlaufen müssen. Das war mir völlig wesensfremd. Diese Phase ist glücklicherweise vorbei. Im Alter von 50 Jahren bin ich zufällig in eine Gedächtnissprechstunde gegangen. Dort habe ich sehr viele Strategien gelernt, wie ich mit meinen Schwächen umgehen kann. Das hat mir sehr geholfen zu verstehen warum meine Emotionen so komisch und fremd sind. So konnte ich lernen es zu beherrschen.

Im letzten Jahr vor meinem Ruhestand hatte ich nur noch die Hälfte der Stunden. Ich hatte eine Stunde Unterricht, dann habe ich mich ins erste Hilfe Zimmer gelegt, die Beine hochgelegt und bin eingeschlafen. Mit dem Gongschlag ist die Sekretärin reingekommen und hat mich für die nächste Stunde geweckt. Am Schluss war es so, dass ich nicht mehr die Klassenzimmer gefunden habe. Dann kamen die Kinder ins Lehrerzimmer und haben mich abgeholt und haben gesagt „Sie finden das Klassenzimmer nicht.“ und das hat gestimmt.

Wahrscheinlich haben auch meine Gleichgewichtsprobleme damit zu tun. Ich bin in diesen letzten zwei Schuljahren häufig auch im Klassenzimmer gestürzt. Beim Mikroskopieren bin ich, nachdem ich ins Mikroskop geschaut habe, nach hinten umgestürzt und habe alle Mikroskope abgeräumt. Am Schluss habe ich die schwefelige Säure fallen lassen. Von da an habe ich gefährlichere und giftigere Substanzen nicht mehr getragen. Es war am Schluss unzumutbar, dass ich da Lehrer war. Der Ruhestand war eine ganz tolle Lösung für mich. Es hat immer noch 4,5 Jahre gedauert, bis ich aus diesem tiefem Loch rausgekommen bin. Ich war zweimal im Jahr auf neurologischen Rehas. Doch durch die Reduzierungen und Vereinfachungen im Leben, ging es plötzlich wieder toll und seit 2 Jahren, seitdem ich 60 bin, fühle ich mich klasse. Ich kann auch wieder Sport auf Wettkampfniveau machen.

BISp: Was wird in einer Gedächtnissprechstunde gemacht?

Begonnen haben wir damit, dass wir Hilfestellungen für die Namen meiner Schüler erstellt haben. Ich habe von allen meiner Schülern Fotos gemacht und über Eselsbrücken die Namen auswendig gelernt. Das ging ganz gut. Außerdem haben wir viele Tests gemacht, um herauszufinden, wo genau meine Schwächen liegen. Es wurde herausgefunden, dass ich in einigen Bereichen noch sehr leistungsfähig bin und in anderen nicht. Das haben wir in Strategien umgemünzt. Eine ist beispielsweise, dass ich relativ früh aufstehe, weil da noch nicht viel Störung ist. Zu diesem Zeitpunkt mache ich Sachen, für die ich mich konzentrieren muss. Außerdem wurde ich dazu ermuntert, wieder mit dem Sport anzufangen. Weiter haben wir ganz normale Gedächtnisübungen gemacht, wie sich z.B. eine Kette von Begriffen zu merken. Am allerbesten geholfen hat mir jedoch: Selektion, Optimieren, Kompensieren. Ich selektiere das, was ich noch kann oder machen möchte, aus meinem Tag heraus. Bei mir sind das nur noch 20% von einem normalen Alltag. Aber das suche ich mir bewusst raus. Meine Entwicklung in den 10 Jahren, in denen ich dort bin, hat mich verändert. Ich war ganz unten und jetzt geht es mir wieder besser.

BISp: Haben Sie einen Rat / Tipps für Ihre Kollegen, die Ihnen helfen, Ihre Symptome zu lindern?

„Stay active, stay healthy and look after yourself“ Das beschreibt es sehr gut. Ich versuche, sehr gesund zu leben, sportlich zu leben, mich gut zu ernähren und um 21 Uhr gehe ich ins Bett. Ich schlafe trotzdem 10-11 Stunden. Ich mache Mittagsschlaf, der 1-1,5 Stunden dauert. Das muss ich einfach machen. Den Rat würde ich jedem geben, dass er sehr gut mit sich umgeht. Ein ganz sauberer Tagesrhythmus ist auch ganz wichtig für mich sowie Versorgung mit Nahrungsmitteln. Ich versuche nie in einen Unterzucker zu kommen, weil da rauszukommen ist ganz schwer für mich.

BISp: Würden sie wieder Football spielen, wenn sie damals gewusst hätten, was sie jetzt wissen?

Das ist ein schönes Beispiel für meine Selektionsstrategie. Ich selektiere auch das, über was ich mir Gedanken mache. Hat es eine eine Auswirkung oder nicht. Eine Frage wie „was würden sie tun, wenn die Welt eine andere wäre“, um die kümmere ich mich nicht, weil das für mein Leben keinerlei Auswirkung hat.

BISp: Einige Spieler beenden frühzeitig ihre Karriere, da sie Angst vor möglichen Spätfolgen haben. Meinen sie, dass wir in Zukunft weitere Rücktritte sehen werden?

In der Regel reagiert die Gesellschaft auf derartige Ergebnisse und Spätfolgen ganz schlecht. Sowohl emotional, als auch rational. Bestes Beispiel ist das Rauchen. Obwohl man wusste, dass das Rauchen Lungenkrebs hervorruft, hat es Jahrzehnte gedauert, bis das Nichtrauchergesetz durchgesetzt wurde. Ich glaube nicht, dass sich da viel verändert. In den USA hängt viel Geld an dem Sport. Und in Deutschland zumindest ganz viel Herzblut.

Ich persönlich habe für mich zwei Konsequenzen gezogen. Erstens müssen wir den Athleten die Gefahr der Spätfolgen deutlich machen, zum Beispiel durch solche Interviews. Mein Berufsleben war mit 55 Jahren absolut vorbei. Wenn ein gestandenes Mannsbild mit knapp über 50 nicht mehr in der Lage ist, einen Beruf wie Lehrer auszuüben, dann stimmt an der Situation etwas nicht. Da man jedoch die Ursachen noch nicht genau kennt, ist es schwer abzuschätzen, ob es reicht am Spiel selbst etwas zu ändern. Ich denke es reicht nicht und deshalb ist meine zweite Konsequenz, dass ich keinerlei Spiele mehr besuchen werde.

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